Am 30. März 2003 waren in der Nordschweiz die ersten Frühlingsblumen schon verblüht, hiess es am Telefon. Aus sicheren Quellen hatten wir erfahren, dass der Uhu im Nationalpark beim Eindunkeln den Hochzeitsflug schon vorgeführt hatte und dass in Maloja die ersten Schwalben gesichtet worden waren. Es gab ihn also, den Frühling. Nun mussten wir ihn nur noch genau ausfindig machen.
Im Engadin, wo unsere Reise nach Italien begann, guckten die ersten Krokusse und Schneeglöcklein scheu aus dem Boden. Die Oberengadiner Seen zeigten sich im Frühmorgenlicht in Eisglanz, allerdings schimmerte dunkelgrünliches Wasser durch die nicht mehr begehbare Eisfläche. Bodennebel verhüllten leicht die Märchenlandschaft, die sich noch fest in den Händen der Eiskönigin befand. Keine Schwalben, es war noch zu früh am Morgen und zu kalt, dafür sahen wir eisige Strassenkurven. Im Autoradio hörten wir die ersten Pollenberichte. Nach einer langen Trockenperiode wartete man sehnlichst auf den Regen, denn alles war trocken und die Natur lechzte nach Wasser, um die Triebe schiessen zu lassen.
Kaum hatten wir dem italienischen Zoll den Rücken gekehrt, war er da, der Frühling. Er hatte die Büsche schon mit gelben, rosaroten und weissen Tupfen versehen. Magnolien zeigten ihre Pracht und Mimosen verströmten ihren Duft. Die Gräser färbten die Wiesen grün. Nach all dem Weiss im Engadin so viele Farben! Was für ein belebendes Gefühl. Es beflügelte die vielen Velofahrer die strassauf und strassab strampelten, einer neuen Saison entgegen; endlich konnten sie den Winter vergessen und wieder die frische Fahrtluft an den Ohren vorbeisausen lassen! Bunte Primeln grüssten von den Fenstersimsen und Fahnen in Regenbogenfarben mit der Aufschrift PACE flatterten im Morgenwind. Im Auto duftete verführerisch das frische Brot, das Michael an der Tankstelle gekauft hatte.
Venezia: San Marco
Um 6.45 Uhr waren wir im Engadin losgefahren, um 11.30 Uhr kamen wir in Venedig an, und um 12.15 Uhr fuhren wir aus dem Bauch der Autofähre hinaus auf den Lido. Die kurze Fahrt dorthin hatten wir auf dem Passagierdeck verbracht. Wir waren wie im Traum an der zauberhaften Wasserstadt Venedig vorbeigerauscht und hatten sie von oben herab durch die leichten Nebelschwaden gegrüsst und ich werde niemandem verraten, ob die Träne, die ich wegwischte, eine Wiedersehens-Rührungsträne war oder ob der kalte Fahrtwind sie mir entlockt hatte!
Es war das erstemal, dass wir per Auto bis zum Hotel fahren konnten. Es war eine weise Entscheidung, diesmal auf der Insel, die Venedig schützend vom Adriatischen Meer trennt, abzusteigen. Es ist so viel bequemer, als das Gepäck aufs Vaporetto zu laden, und, je nachdem wo man wohnt, über Brücken und Treppen zu schleppen. Der Empfang war ausserordentlich freundlich. "Buon giorno! Mi chiamo Sabrina!" Hände wurden geschüttelt, hilfreiche Hände öffneten das zum Parkplätzchen führende Gatter, wo das Auto sich einige Tage lang ausruhen sollte, kräftige Hände fassten unsere Koffer und trugen sie zum Zimmer. Auf dem Tisch stand bereits eine Flasche Sekt und ein Willkommenskärtchen vom Hotelmanager.
Michael hielt es nun nicht länger aus! Er packte sogleich das Stativ aus, die Kamera, das grosse Zoom, ein Auge wurde zugekniffen, ein Mundwinkel nach oben verzogen und die Jagd nach guten Fotos konnte beginnen. Ich kann jetzt schon verraten, dass er ein erfolgreicher Jäger war, einer, der mit Geduld den richtigen Moment zum Knipsen abwarten konnte, einer, der den richtigen Blickwinkel erfassen kann und einer, der Stimmungen einzufangen weiss. Seine gesammelten Bilder kann man übrigens auf der Homepage bewundern. Mir gefallen sie ausserordentlich gut.
Venedig Lido: Aussicht vom Hotel Panorama
Die Fenster unseres Zimmers im Hotel Panorama gaben am Tag den wunderschönen Blick auf ein paar Inseln und das in einiger Entfernung aus dem Wasser steigende Venedig frei. Immer um dieselbe Zeit verdeckten riesige Kreuzfahrtschiffe die Zecca, die Piazzetta und den Dogenpalast, um dann in elegantem Bogen an uns vorbei dem Meer zuzusteuern. Weisse Striemen im Wasser hinterlassend befuhren aber auch Motorboote, Motoscafi, Vaporetti, Wassertaxis, Militärschiffe, Ruderboote, Ambulanzboote, Polizeiboote (das sind die rassigsten), Tanker, aber auch trainierende Wettruderer auf Gondeln kreuz und quer die Lagune.
In der Nacht beobachtete ich erstaunt, wie viele Flugzeuge über dem nächtlichen Venedig den Flugplatz Marco Polo ansteuerten. Wir erfreuten uns am Anblick der fernen Lampenketten der Uferpromenade Riva degli Schiavoni und beleuchteten Fenstern bis zu den Giardini und am goldgelben Lichtschein der Pfahlgruppen, Bricole genannt, die die Schifffahrt durch die Lagune möglich machen, denn sie lenken die Boote durch das Gewirr der engen Fahrrinnen an den zahlreichen Untiefen vorbei. Auch das gab ein schönes Sujet für Nachtaufnahmen. Dabei standen wir im Dunkeln am offenen Fenster, angezogen wie im Winter.
Venise: Santa Maria della Salute
Von unserem Logenplatz aus beobachteten wir mit Genuss die Vaporettis, die vollbeladen von Venedig zum Lido fuhren, wo die Einheimischen dann auf ihr Velo umstiegen, das bei der Schiffstation auf sie wartete, und nach Hause fuhren. Oder sie wurden von jemandem per Auto erwartet. Einige benutzten den Bus zur Weiterfahrt. Besonders spannend war es an den Tagen, an denen der unangenehme, kräftige Winter-Wind über die Lagune fegte und an den umgekrempelten Schirmen und Fensterläden seine Freude hatte. Er konnte den peitschenden Regen dorthin blasen, wo die eilenden Leute ihn nicht haben wollten, und das sonst so ruhige Wasser der Lagune wurde aufgewühlt und bekam dramatische Farben. Der Winter wollte sich einfach nicht verabschieden und machte es dem Frühling schwer, sich zu etablieren. Auch wenn Letzterer sich ab und zu durchsetzte und recht kräftige Sonnenstrahlen schicken konnte, die die ersten Schnaken weckten, damit sie sich auf Michael und mich stürzen konnten.
Venice by night
Ich wiederhole: Die Aussicht war zum Abheben schön! Wer kann schon auf seinem Bett liegen und zwischen der linken und rechten grossen Zehe ganz Venedig und die Lagune betrachten? Wir konnten das! Venedig lag sozusagen Tag und Nacht zu unseren Füssen! Wenn man da nicht den Grössenwahn bekommt...
Klar, man kann nicht die ganzen Ferien lang auf dem Bett liegen und am Fenster stehen. Man muss sich doch informieren, wo man ist, was man da zu sehen bekommt und was es zum Frühstück gibt. Ein Gast verabschiedete sich gerade mit: "Arrivederci e buona primavera!" Ein gutes Zeichen!...
Also suchten wir den Frühling auf der Insel Lido, dem schmalen Sandstreifen von 12 km Länge und durchschnittlich 500 m Breite. Tatsächlich waren hier die Wiesen grün, Gänseblümchen, Löwenzahn und Vergissmeinnicht blühten um die Wette, die Wäsche trocknete über der Strasse vor sich hin, die Sonne schien freundlich, wenn die Frühlingsgöttin Ostara in der Nähe war. Leider war das nicht immer der Fall. Im Wind konnte man auf der Meerseite des Lidos (Süd-Ost-Seite) kaum gerade stehen. Poseidon schaltete sich ebenfalls ein. Mit dem Dreizack wütete er und schickte grosse, breite, dunkelgrüne Wellen mit zerzausten Schaumkronen über den Strand des Hotel des Bains, an dem in Thomas Manns "Tod in Venedig" Tadzio, der Schöne, Umworbene, wie ein junger Gott aus den Wellen stieg und die Gefühlswelt des Schriftstellers Gustav von Aschenbach aufwühlte. In dieser Jahreszeit gab es noch niemanden, der vor dem offenen Strandkorb im Liegestuhl dem Dolce-Far-Niente frönte oder im Lido-Casino sein Glück versuchte. Niemand suchte nach Muscheln, obwohl ganze Lagen davon den Strand bedeckten. Die Hotels bereiteten ihre Strandabschnitte vor, waren am Putzen, Reparieren und Renovieren. Der Wind und die Salzluft kräuselten meine Haare. Allein Michaels Kompliment: "Du siehst aus wie in Norwegen!" war schon eine Reise wert gewesen, denn die Ferien am Meer in Norwegen gehen auf eine gemeinsame jahrzehntelange Vergangenheit zurück. Ich liebe Komplimente!!!
Wäre D.H.Lawrence in dieser Jahreszeit hier gewesen, hätte er in "Lady Chatterly" den Lido nicht wie folgt beschrieben:
"Dies war DER Ferienort aller Ferienorte. Der Lido mit seinen Quadratkilometern voll sonnengeröteter oder trikotbekleideter Leiber glich einem Sandstreifen voll wimmelnder Seehunde, die zahllos emporgetaucht waren, um zu hochzeiten. Zu viele Menschen auf der Piazza, zu viele menschliche Gliedmassen und Rümpfe am Lido, zu viele Gondeln, zu viele Vaporettos, zu viele Dampfer, zu viele Tauben, zu viele Eiskrems, zu viele Cocktails, zu viele trinkgeldheischende Diener, zu viele durcheinanderschnatternde Sprachen, zu viel Sonne (...): zu viel Vergnügen, viel zuviel Vergnügen!"
Heute kann man hier dazu Golf spielen, reiten, das Planetarium besuchen oder den jüdischen Friedhof mit seinen berühmten Gräbern des 16.und 17.Jhs. Besonders viele Leute zieht das venezianische Filmfestival an, die Film-Biennale.
Klar, wir waren auch nicht wegen des Lidos hier. Wir wollten unseren Venedig-Traum weiterträumen. Und wie es im Traum so ist, man verdrängt, was einem nicht passt, man lässt aus, man erfindet dazu. So geht es uns mit Venedig. Und das ist recht so. Man könnte über die Umweltschutzbehörde schimpfen, wie man will, es ändert nichts. Man könnte sich über die Langsamkeit der Renovationen schimpfen, es ändert nichts. Geld wäre genug da, aber es scheint im Schlamm der Kanäle zu versickern. Lassen wir das!
Wir wollten nun endlich den Frühling finden! Wir mischten uns jeweils frühmorgens unter die Lido-Bewohner, die in Venedig einen Arbeitsplatz haben. Die kurze Überfahrt im Vaporetto benützten die meisten Einheimischen zum Zeitungslesen oder Fertigschlafen, da waren Damen, die sich schminkten und die Fingernägel polierten oder strickten, hier fand man SMS-Schreiber, Handys klingelten. Michael fieberte seiner Foto-Jagd entgegen.
Venedig: der geflügelte Markuslöwe
"San Marco!" Aussteigen, mit den Augen die Piazzetta vor dem Dogenpalast absuchen, die Basilika San Marco inspizieren, die aus vergoldeter Bronze bestehenden naturnahen Pferde, die Quadriga, über dem Hauptportal besuchen, von der Loggia aus wie im Taubenflug auf die Piazza runterschauen, mit der Kamera Engel, Heilige, Löwen und andere Marmor- und Bronzefiguren heranzoomen: Michael war im Element!
Venezia: Piazzetta San Marco
Am Café Florian vorbei flanieren und dem Klarinettisten und seiner anregenden Tanzmusik zuhören, der vom Pianisten begleitet wurde, an den Schaufenstern mit den erlesensten Stickereien,
Glaswaren, Ketten aus winzigen Glasperlen,
Vasen aus Millefioriglas, Fadenglasschalen, eine Gitarre aus Glas, Modernes, Traditionelles,
Glasperlen aus Murano
Kitsch, Kunst, an Modegeschäften vorbei spazieren, den Kopf einziehen, wenn eine Schar Tauben darüber hinwegflatterte, Säulenkapitelle von allen Seiten betrachten, die Scharen von Touristen ignorieren... Wir waren beide im Element!
Den Frühling fand ich in diversen Einzelheiten. Er zeigte sich in Horden von Jugendlichen, viele Französisch sprechend, aber es waren auch viele italienische Schulklassen darunter. Eine Riesengruppe zog unsere Blicke an, vor allem der wild herumfuchtelnde Lehrer, der Anweisungen gab, wie die Jungs und Mädchen auf dem Platz sitzen sollten, einer hinter dem andern, die Beine gegrätscht. Mit der Zeit merkte man, was das Ganze darstellen sollte: Aus den Jugendlichen sollte das Wort PACE entstehen. Dann schrie der Lehrer: "Sù!" und "Giù!" Sie setzen sich auf, legten sich wieder hin. Immer wieder! Dann standen die Irak-Kriegs-Gegner auf und schon entstand eine Schlägerei in der Gruppe und sie schlugen sich die Rucksäcke um die Ohren!
Ganz leise Töne spielte der Frühling aber auch. Er zeigte sich in Form von kleinen Pflänzchen, die in den Ritzen der bröckelnden Steine der Brücken ihre Würzelchen ausbreiteten. Auch die Natur will diese Traumstadt erobern! Er zeigte sich am Gurren der Taubenmännchen, die ihre Pirouetten drehten und sich vor ihrem Weibchen verbeugten und sich von der besten Seite zeigen wollten, um es bei einer andern zu versuchen, wenn die Dame sich interesselos zeigte.
Auch die Gondolieri spürten den Frühling. Die Verliebten und Paare auf Hochzeitsreisen, die Japaner in Gruppen liessen manchen Euro liegen. Und da konnte man die Gondeln schon mit einem Frühlingssträusschen dekorieren. Wir beobachteten einen Gondoliere, der auf einem Holzsteg stand und mit dem Wasserschlauch versuchte, in die Blumenvase der Gondel Wasser zu spritzen. Die halbe Gondel musste er dann aber wieder trockenreiben, aber den Blümchen ging's besser!
Venezia: Gondola!
Und da war noch der Marmormann auf seinem Sockel mitten auf einem lauschigen Plätzchen. Weissgeschminkt Gesicht und Hände, das drapierte Gewand weiss, eine Schreibfeder in der einen Hand, in der andern ein offenes Buch, so wartete er auf Batzen der Vorbeigehenden. Ab und zu veränderte er die Haltung, nur dann merkte man, dass er nicht aus Stein bestand. Besonders freute er sich, wenn er eine Gruppe von Kindern verblüffen konnte. Manchmal winkte er mit dem Zeigefinger einzelne Kinder zu sich, machte Grimassen und lustige Posen, damit die Gruppe spassige Bilder knipsen konnte. Den Buben legte er die Hand mit der Feder auf den Kopf, den Mädchen auf die Schulter. Ab und zu streckte er den Passanten hinter ihrem Rücken die Zunge heraus oder verdrehte die Augen, wenn sie ihn fotografiert, aber keinen Batzen ins Körbchen geworfen hatten. Den Spendern hingegen schickte er Dankesküsschen nach. Es lohnte sich, stehenzubleiben und sein Repertoire an Gesichtsausdrücken zu erleben.
Venedig: Aussicht von San Giorgio Maggiore
Wir liessen uns mit dem Lift zur Aussichtsterrasse der Kirche San Giorgio Maggiore auf der gleichnamigen Insel fahren. Wir genossen den Frühlingssonnenschein in luftiger Höhe auf dem Campanile, direkt unter den Glocken und vor allem die makellose Rundsicht über alle Dächer und die ganze Umgebung, über Stadt, Land, Inseln und Wasser.
Venice: Canale della Giudecca
Ein Schild warnt vor dem Mittagsgeläute und dem Ohrenschaden, den man dabei erleiden könnte. Die Schreie der Möwen waren nicht gar so laut. Die Flugkünstler, die um den Turm herum ihr Können zeigten, ihr Spiel mit dem Wind, auch ihre scheinbare grenzenlose Freiheit waren beneidenswert. Am liebsten hätte ich mich wie Nils Holgersson als Däumling an den Schwingen einer Möwe gehalten und wäre ins Blaue hineingeflogen. Entschuldigung, Selma Lagerlöf, Nils sass ja auf einer Wildgans und das Ganze spielte sich in Schweden ab. Tut aber nichts, ich war ja, wie schon gesagt, am Träumen, und da sind solche Ausrutscher erlaubt.
Venise: Canale di San Marco
Falls ein Leser einmal wie wir in dieser Kirche Kunstwerke bestaunen wird, so empfehle ich ihm Tintorettos Bild des Abendmahls, das sich rechts vom Altar befindet, genau und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, d.h. von links und von rechts. Er wird staunen, dass der lange Tisch scheinbar den Winkel zum Beobachter wechselt. Verblüffend! Es lohnt sich, die Heiterkeit und Harmonie dieser Kirche einzufangen.
Mit ihrer tempelartigen Fassade ist sie dem Dogenpalast und der Piazzetta zugewendet und eignet sich gut zum Fotografieren. Von ihrem Vorplatz aus hat man einen malerischen Blick auf das Zentrum von Venedig, und bei jedem Venedigbesuch MÜSSEN wir uns dorthin begeben.
Als sich das Wetter gar zu garstig zeigte flüchteten wir in den Palazzo Grassi. Erbaut wurde er von einer mächtigen Familie aus Chioggia, die eigentlich aus Bologna stammen sollte und 1718 gegen Zahlung von 60'000 Dukaten als Beitrag für den letzten Krieg gegen die Türken dem venezianischen Patriziat beitreten durften. Es wird erzählt, dass Giorgio Massari, der den Palazzo errichtete, eine Vielzahl geheimer Treppen eingebaut habe, damit sich die Liebespaare verstecken konnten ("Hasch mich, ich bin der Frühling!").
Später gehörte der Palast dem Grafen Tornielli. Dieser verkaufte ihn dem Tenor Poggi, einem Opernstar. Später wurde ein Hotel daraus, dann ein berühmtes Badehaus, das das Wasser für den Badebetrieb direkt aus dem Canale Grande schöpfte. Heute ist der Palast Sitz des Centro internazionale delle arti e del costume. Ein Glasdach über dem offenen Innenhof sorgt für genügend Licht in allen Stockwerken. So kommen grosse Kunstausstellungen sehr gut zur Geltung.
Venedig-typisch
Wir hatten das Glück "I Faraoni" zu besuchen. Ich kenne keine Kunstwerke, die mehr Schönheit, Harmonie und Ausgeglichenheit ausstrahlen, als die ägyptischen. Es wurden Gegenstände gezeigt, Schmuck, Sarkophage, Totenmasken, Götterfiguren, Obelisken, Schriften und Malereien auf Papyrus die von Beginn bis Ende des Lebens der Gott-Könige erzählten. Ein Video zeigte die Verpackung und den Transport der wertvollen Güter, die aus aller Welt hier zu einer Ausstellung vereint worden waren. Warum wohl wurden ausnahmslos alle Handtaschen, Rucksäcke und Fotoapparate am Eingang "eingesammelt"? Für Ausweise und Portemonnaies erhielt man einen winzigen Plastiksack. Wir verliessen gerade rechtzeitig das Museum. Völkerscharen reihten sich vor dem Eingang, vor allem wieder viele Schulklassen, ungeduldig im Regen wartend.
Wir schlängelten uns von Gasse zu Gässchen, eines davon heisst "Calle stretta", das ist dort so eng, dass man nicht einmal einen Knirps-Schirm offen lassen kann!
Venice: Calle Stretta
Und dann kam er, der Erfolg des Jahres:
Das Goldoni-Museum und das theaterwissenschaftliche Institut, das Geburtshaus des Advokaten und Schriftstellers Carlo Goldoni, des sogenannten italienischen Molières, war offen!!! Seit einigen Jahren unternahmen wir Versuche, dort einzudringen und standen immer vor geschlossenen Türen.
Bis jetzt hatten wir nur die schöne, offene dreibogige Treppe des Palazzo Centani, wie die Ca' Goldoni auch genannt wird, und den runden Brunnen davor gesehen. Und nun konnten wir uns den kleinen Carlo zuhause vorstellen, der erste Sohn und Liebling der Mutter, die seine erste Lehrerin war und vom fleissigen, aufmerksamen, lernwilligen und ausgeglichenen Sohn schwärmte. Sein Vater, auch ein Advokat, hatte für Carlo und dessen Freunde ein grosses Puppentheater und viele Marionetten geschaffen.
So verfasste Carlo Goldoni schon als Achtjähriger sein erstes Theaterstück. Er hatte es ja im Blut. Sein Grossvater, Carlo Alessandro, war ein wohlhabender venezianischer Notar, der sich in seiner Villa am Lido sogar ein kleines Privattheater eingerichtet hatte.
Venedig: Goldonis Puppentheater
Wen wundert's also, dass Goldoni, als er als Vierzehnjähriger zu den Dominikanern nach Rimini in die Schule geschickt wurde, dort auf eine Commedia-dell'arte-Truppe traf, und mit ihnen in einem Kutter nach Chiozza (= venezianische Aussprache für Chioggia) flüchtete.
Lange konnte er den Beruf des Advokaten und des Theatermannes unter einen Hut bringen, bis er sich dann nach vielen Jahren und Irrfahrten durch Oberitalien ganz fürs Theater entschied. Er wurde von Widersachern und Neidern gejagt. Er geriet in Vergessenheit. Er wurde wiederentdeckt und an den französischen Hof gerufen, wo er in Paris die Comédie Italienne, das Gegenstück der Comédie Française, gründete und der Tochter des Königs Louis XV. Italienischunterricht erteilte, später der Schwester des Königs Louis XVI.
Die Wirren in Frankreich und die Nationalversammlung waren schuld an seinem nachfolgenden Elend; niemand kümmerte sich mehr um ihn. Er starb verarmt, vereinsamt und erblindet als Achtzigjähriger in Paris und hinterliess zweihundert Theaterstücke, davon weit über hundert Komödien.
Seine dem Leben abgeguckten Figuren werden aber hoffentlich noch lange leben, die faulen und schlauen Diener Arlecchino und Brighella, die nie genug zu essen bekommen, Pantalone, der alte venezianische Kaufmann, der Dottore, der geschwätzige Jurist oder Arzt aus Bologna, die schlaue Locandiera, die Verliebten, die Lügner und Spieler, die Neunmalklugen und Witzigen.
Im zweiten Raum hängen viele Portraits von Goldoni und sind auch alte Buchausgaben aus verschiedenen Städten ausgestellt.
Venezia: Ponte Rialto / Canale Grande
So träumten wir von Vergangenem. Wir träumten auch hellwach in der Gegenwart. Vor allem in der Nacht vor dem Regen, als wir Geeignetes zum Fotografieren suchten und am Canale Grande fanden. Die Rialtobrücke spannte sich über einen Fluss aus flüssigem Gold und geschmolzener Bronze, der goldene Lichtschein aus den Palast-Fenstern schimmerte geheimnisvoll im Dunkeln, die bunten Lampenreihen der Restaurant-Terrassen schaukelten leicht, die Wellen überzogen sich mit vielen Farben.
Venedig: Rialtobrücke am Canale Grande
Schon oft hatten wir Venedig besucht und jedes Mal einen anderen Traum geträumt, je nach Gemütsverfassung, Gesundheitszustand oder Jahreszeit. Jedes Mal hatte sich die Reise mehr als gelohnt.
Den Frühling hatten wir also nur ansatzweise gefunden, in Symbolen und in einigen Sonnenstrahlen. Der Winter hatte die Oberhand wieder und wir packten unsere Koffer, um die schöne Jahreszeit woanders zu finden.
Das Po-Delta zeigte sich als windgepeitschte regennasse Landschaft, ein Biotop mit riesigen Ausmassen. So liessen wir ungern Chioggia links liegen und fuhren weiter.
Was für eine Ebene!
Bis vier Meter unter dem Meeresspiegel liegen die so genannten Valli, die Wasserbecken für die Fischzucht, vor allem Aal, aber auch für die Zucht von Miesmuscheln. Zum Teil sind die Valli mit Süsswasser gefüllt, zum Teil mit Meerwasser. Die Fischfanggeräte und Körbe wurden früher vor allem aus den übermannshohen Schilfrohren gefertigt. Es ist ein Naturschutzgebiet, ein Vogelparadies, da viele Vogelarten hier den Winter verbringen, im Röhricht schön geschützt. Die Landschaft zeugt von fleissigen Generationen, die jahrtausendelang an ihr gearbeitet haben, Dämme aufgeschüttet, Wasserkanäle angelegt, Sümpfe trockengelegt und damit die Malaria-Fliegen-Plage verscheucht.
Schon die Etrusker und Römer hatten das "Wasserland" für sich gesichert und ein Strassennetz auf Dämmen gebaut.
Unzählige Jagdschlösser zeugen dafür, dass man auch später das Schlaraffenland gerne für verschiedene Zwecke nutzte.
Die allerersten Verantwortlichen für das Entstehen des riesigen Deltas heissen Po, Adige und Fiume Reno. Die Flüsse hatten Unmengen von Schwemm-Material angeschleppt und die Landstriche hinaus ins Meer verschoben. Durch die starke Schlammführung des Po allein wächst das Delta jährlich etwa 60 Meter in das Adriatische Meer hinein!
Sand brachten sie in Hülle und Fülle, so viel dass jetzt sieben Lidi (25 km Sandstrand) im Sommer Ferienleute und Sonnenanbeter anziehen. Die Fläche Comacchio (10'000 Hektaren) im Norden von Ravenna mit ihren unzähligen Bewässerungskanälen, wo in Verdunstungs-Becken aus dem Meer Salz gewonnen wird und auch die Wasserstadt und Hauptstadt des Deltas Comacchio, die auf 13 kleinen Inseln gebaut wurde, alles wäre sehr sehenswert.
Wer "Bird-Watching" als Ferienbeschäftigung aussucht, kann ohne grosse Anstrengung und Vorkehrungen eine so grosse Vielfalt von Vögeln beobachten, dass er dabei leicht den Kopf verlieren könnte, heisst es im Büchlein über das Naturschutzgebiet. Und in der Tat konnten wir schon aus dem Autofenster ohne zu suchen Reiher, Seeadler, Unmengen von Elstern und zahlreiche Fasane entdecken. Die Hirsche, Hasen, Wasserschildkröten, die Stink- und vielen anderen Tiere hielten sich versteckt. Es war schade, so schnell hier durchzufahren, aber bei dem Angebot von Sehenswertem mussten wir leider eine Auswahl treffen.
Santa Maria di Pomposa
Wir hielten in Pomposa. Die Kirche Santa Maria di Pomposa wurde im Jahr 523 gegründet und war im Mittelalter ein kultureller Mittelpunkt des Landes, dafür sorgten Päpste und Kaiser.
Santa Maria di Pomposa
Guido d'Arezzo, der die Grundlage der Notenschrift schuf, lebte einige Zeit hier. Im Refektorium malte ein Meister aus Rimini im 14. Jh. "Das Mahl des hl. Guido", bei dem der Abt von Pomposa auf wunderbare Weise Wasser in Wein verwandelte.
Santa Maria di Pomposa / Guido d'Arezzo
Schon von Weitem sieht man den 50 Meter hohen Campanile. Die zahlreichen Fresken aus dem 14.Jh. und der Mosaikfussboden sind grossartig.
Pomposa: Campanile
Wir fuhren weiter, wieder von Fasanen beobachtet, durch Pinienwäldern bis wir im Park Hotel in Marina di Ravenna ankamen und im obersten Stock ein Zimmer mit Balkon in Besitz nahmen, für eine Woche unser neues "Basislager" mit Aussicht über die Wipfel der Pinien im Park hinweg auf das Adriatische Meer und den Strand mit seinen Wellenbrechern und Fischfang-Häusern und den weit draussen stehenden Erdgas-Bohrtürmen.
Marina di Ravenna
Eine Amsel sang ein langes, fantasievolles Liebeslied und erinnerte uns daran, dass wir eigentlich den Frühling aufsuchen wollten.
Im Radio sang Frank Sinatra sein bekanntes: "I'm dreaming of a white Christmas" und Michael wollte meine Weihnachtswünsche gleich notieren.
Bevor die Sonne unterging fegte der Wind die Wolken vom Himmel weg. Die Wellen bekamen wunderbare Blautöne, auch Mint und Türkis und Eisblau in Pastellnuancen, geschmückt von weissen Schaumkronen und dazu der beigefarbene Sand. Traumhaft schön!
Marina di Ravenna: Aussicht vom Park Hotel (oberster Stock)
San Leo / Monte Feretri
Das erste Ausflugsziel hiess: San Leo.
San Leo, starke Felsenstadt,
Dante besang so ausdrucksvoll deine eisenfarbige Felsmasse,
die sich wie ein Bug,
den vier Winden entgegenstreckt.
F.O.Palermo
San Leo
Man stelle sich den Bergzahn vor, den Monte Feretri, 32 km von Rimini entfernt, auf einer Seite ein senkrecht abfallender Felsen mit einer Befestigungs-Burg auf 639 m obendrauf, auf der anderen der steile Bergrücken mit dem daran "angeklebten" Städtchen. Ein Bild, das jeden Steinbock erfreuen musste. Darum herum eine schöne Wildschutzlandschaft mit breiten Flusstälern, besonders das weite, malerische des Fiume Marècchia mit dem vielen angeschwemmten Geröll.
Fiume Marècchia
Begrünte Hügelketten, Wäldchen und blühende Wiesen und Plantagen mit niederen Bäumchen, flüchtende oder zu stark beschäftigte (Oster)hasen, Schwalben und Schmetterlinge rundeten die romantische Landschaft ab. Das war doch das Frühlingsbild, das wir suchten! Allerdings fanden wir so rumpelige Fahrstrassen vor, dass Michael ausrief: "Nie mehr werde ich über den Albulapass schimpfen!"
Nur eine in den Fels gesprengte Rampe macht die Zufahrt zur alten Burgsiedlung möglich. Sie ist intakt, obwohl viele Völker sich um diese Aussichtskanzel gestritten haben.
Der romanische Duomo aus dem 12.Jh. steht auf den Ruinen eines Jupitertempels.
Duomo e fortezza di San Leo
Vom Grab des heiligen Leo, dem grössten Evangeliumsprediger des Montefeltro, blieb nur der Sarkophagdeckel erhalten. Seine Ruhe dauerte 600 Jahre lang. Dann erhielt Kaiser Heinrich II. die bischöfliche Erlaubnis, die sterblichen Überreste des Heiligen nach Deutschland mitzunehmen um sie in Speyer beizusetzen. 10 km vor Ferrara bäumten sich die Pferde auf und es war nicht möglich, sie weiterzutreiben. So überliess der Kaiser alles diesem Ort, der von nun an San Leo di Voghenza annahm, mit den Worten:
"Auf meiner Reise wollte ich Dich ehrenvoll behandeln. So bleibe nun an dem Ort, den Du Dir gewählt hast!"
Auf der Piazza Dante haben Dante und der Heilige Franziskus von Assisi ihre Ansprachen gehalten. Dieser predigte vor der Kulisse des Palazzo de' Medici, des Palazzo della Rovere und des Palastes des Grafen Nardini am 8. Mai 1213 über das Thema:
"So gross ist das Gute, das mich erwartet, dass jede Pein mir Freude ist."
Der Hauptplatz wurde in Dankbarkeit Dante Alighieri gewidmet, der in seiner "Göttlichen Komödie" S. Leo und die Persönlichkeiten des Montefeltro verewigt hat.
Das eindruckvollste Baudenkmal ist die Festung Rocca di San Leo, die nur durch Verrat einzunehmen war und das schönste und grösste Kriegswerkzeug von Italien sei, so beschrieb es der begeisterte Kardinal Pietro Bembo. Im Werk "Die Kriegskunst" erwähnte Macchiavelli die Burg als bestes Beispiel einer militärischen Festung.
San Leo: Festung Rocca
Für den wohl berühmtesten Gefangenen, Giuseppe Balsamo, besser bekannt unter dem Namen Alessando Graf von Cagliostro war es kein Trost in einer so schönen Festung gefangen zu sein. Vier Jahre, vier Monate und fünf Tage lang, davon vier Jahre lang lebendig eingemauert in der Zelle Pozzetto (= kleiner Brunnen), einer engen, dunklen, türlosen Zelle mit einem einzigen Fenster und drei Reihen Einsenstäben. Durch eine Falltür im Gewölbe hatte man ihn hinuntergelassen. Wir traten durch eine später aufgebrochene Wand in seine Zelle. Auf der Pritsche hatte jemand einen grossen Strauss rote Rosen niedergelegt.
In der Enzyklopädie fand ich Folgendes:
"Cagliostro wurde 1743 in Palermo geboren und arbeitete in seiner Jugend bei einem Apotheker. In dieser Zeit eignete er sich ein ausserordentliches Wissen in Chemie und Medizin an und wurde einer der bekanntesten Scharlatane seiner Zeit. Seine Betrügereien reichten von Fälscherei bis hin zur Wahrsagerei, und er gab sich als Arzt, Hypnotiseur und Gründer eines religiösen Freimaurer-Ordens aus. In Begleitung seiner bildhübschen Frau bereiste er ganz Europa, um seine Dienste und Waren und vor allem sein Jugendelixir anzubieten. Am Hof von König Ludwig XVI. von Frankreich war er bald gut bekannt. Opfer seiner Machenschaften waren u.a. Adelige, die ihn unterstützten, obwohl er immer wieder als Betrüger entlarvt wurde. Er war in die berühmt-berüchtigte Halsbandaffäre am französischen Hof verwickelt und wurde deshalb in die Bastille gesperrt. 1789 kehrte er nach Italien zurück, wurde in Rom von der Inquisition gefangen genommen und als Ketzer zum Tod verurteilt. 1791 wurde er zu lebenslanger Haft begnadigt"...
San Leo
In Ausstellungsräumen erfuhren wir an Ort und Stelle Manches über die Inquisition, über Cagliostro, auch dass Alexandre Dumas ihn zur Hauptfigur seines Romans "Joseph Balsamo, Mémoires d'un médecin" gemacht hatte.
Und eine Schrift beschreibt ihn so:
"Ein Gentleman mit feinsten Manieren, stets sehr elegant gekleidet und ohne Zweifel mit einer ungewöhnlichen magnetischen Kraft ausgestattet, frequentierte er die berühmtesten Fürstenhöfe. Könige und Prinzen machten ihm den Hof und von schönen Frauen wurde er geliebt. Zu den Empfängen begab er sich stets in einer Kutsche, die von sechs herrlichen weissen Pferden gezogen wurde."
Im Totenregister des Pfarramtes von S. Leo schrieb der Erzpriester auszugsweise:
..."Unglücklich wurde er geboren und noch unglücklicher lebte er, und er starb auch im Unglück... Am selben Tag wurden öffentliche Bittandachten angesagt, damit der barmherzige Gott seine Augen zu der von ihm geschaffenen erbärmlichen Kreatur wende.
Ihm, dem Häretiker, Exkommunizierten und verstockten Sünder wird die kirchliche Beisetzung verweigert. Der Leichnam wird am äussersten Rande des Berges beigesetzt"...
Rocca di San Leo
Der Patriot Felice Orsini (1819-1858), ein anderer Gefangener, sei auch noch namentlich erwähnt:
Er, sein Vater und seine Kameraden wurden hier verwahrt, bevor sie an Frankreich ausgeliefert wurden. Sie hatten in Paris gegen die Kutsche des Kaisers und der Kaiserin der Franzosen eine selbstangefertigte Bombe geschleudert. Seine letzten Worte vor der Guillotine waren: "Hoch lebe Italien, hoch lebe Frankreich!"
Die vier obengenannten Winde fegten kalt durch die ungeheizten Räume und verstärkten die Gänsehaut, die man beim Betreten der Zellen, Gefängnisse, Gänge, Treppenhäuser und Waffenkammern und auch des "piano nobile", den Gemächern der Noblen Herrschaften, bekam.
Rocca di San Leo
Eine wie ein umgekehrtes Schlüsselloch geformte Schiessscharte liess den Blick frei auf die romagnolischen Hügel, die musste Michael gleich für ein interessantes Bild herhalten.
Über die Zinnen des Hofes hinweg erspähten wir in der Weite (16 km entfernt) schon unser zweites Ziel: San Marino.
San Marino / Monte Titano
Südlich von Rimini erhebt sich ein Bergrücken mit der Form eines Schiffes aus Fels 745 m hoch über eine hügelige Landschaft, die an die Adria grenzt. Am steilen Abhang des Monte Titano liegt die Hauptstadt des 17 Jahrhunderte alten gleichnamigen Klein-Staates und der somit ältesten Republik der Welt.
San Marino: Regierungspalast
Der heilige Marino war 301 n. Chr. vor der diokletianischen Christenverfolgung in die Wälder des Monte Titano geflüchtet, deshalb gilt der 23. September 301 als offizielles Gründungsdatum des Staates. 60 Abgeordnete wachen über die Gesetze, 10 Mitglieder gehören zur ausübenden Gewalt, und zwei Capitani Reggenti regieren und werden alle sechs Monate ausgewechselt. 23'000 Sanmarinesen wohnen in diesem Modellstaat. Sie leben von Münzprägung, der Ausgabe von Briefmarken, vom Tourismus, auch von Zollfreigütern. San Marino besitzt seit wenigen Jahren eine Universität, für deren Aufbau man den Autor Umberto Eco als Rektor bestellt hatte.
San Marino: Salita alla Rocca
Auf dem Grat des Felsens besuchten wir via die Salita alla Rocca die drei Festungen, die mit Festungsmauern verbunden sind und die "ewige Freiheit" des Staates bewachen. Wie ein Adler hat man von dort aus einen Überblick bis zum Meer, ein grandioses Rundumpanorama bis zum Horizont. Bei klarer Fernsicht schaut man gegen Norden weit über die adriatische Westküste hinweg und gegen Osten über die Adria hin bis zu den Bergen Dalmatiens. Bildeten wir uns das ein, oder konnten wir tatsächlich die Krümmung der Erde sehen?
San Marino: Nido del falco
Ein feines Nachtessen im Restaurant "Nido del falco", das wir allen sehr empfehlen können, rundete den ereignisreichen Tag ab. Nun warteten wir, immer mehr in der Kälte stehend, auf den Sonnenuntergang.
Der wurde wirkungsvoll von einem Glöckner eingeläutet, der im Glockenturm am dicken Seil zog, was das Zeug hielt!
Der Himmel und die Wolken zeigten sich bald von der schönsten Seite mit Rot, Orange, Gelb, Weiss über den violetten Bergen, die in diesem Licht aussahen, wie ein Meer von versteinerten sturmgepeitschten Wellen.
Romagna
Dramatischer ging's nicht mehr! Und dann, als wir in unseren Winterkleidern mehr froren als im Engadin, erglühte das bunte Lichtermeer unter uns! Die Strassen, die Autobahn, in der Ferne die Lichter von Rimini, Cattolica, Riccione und Cervia und vielen anderen Ferienorten. Los Angeles könnte neidisch werden, denn hier reicht die Sicht viel weiter und man ist mehr über dem Ganzen erhöht! Man hat eine Sicht wie aus dem Flugzeug heraus.
San Marino / Rimini
Kurz bevor unsere Finger gefühllos wurden streikten die Batterien der Kamera, die die Kälte gar nicht schätzen. Sie mussten ausgewechselt werden, und auch die neuen reklamierten: "Jetzt ist Schluss!"
In der Nacht auf dem Grat des Berges waren wir mutterseelenallein! Im Sommer ist es bestimmt ganz anders, Souvenirladen reiht sich nämlich an Souvenirladen. Uns gefiel es, wir sind gerne stille Beobachter und Geniesser. Das heisst, Michael, der schwindelfreie Steinbock, genoss die freie Rundsicht etwas mehr als ich; hier zu wohnen wäre für mich kein Vergnügen.
San Marino / San Leo
Ich hoffte, wieder auf Meereshöhe einen Tag lang Ruhe und Geborgenheit zu finden. Weit gefehlt! Der Winter beschloss, es nochmals richtig stürmen zu lassen, so dass sich die Pinien noch mehr neigten als sonst. Der Wind heulte um die Ecke unseres Balkons. Er liess die Fenster scheppern. Gleich nach dem Frühstück fings an. Die Putzfrau war noch beschäftigt, die Zimmertür offen, zusammen mit der Balkontüre, da flog der Wind quer durch das Zimmer, unsere Verbindungstür zum Eingang knallte zu und die Verglasung im oberen Drittel der Türe zersplitterte in tausend Stücke. Wir räumten sogleich das Feld und überliessen das Aufräumen Anderen, nachdem ich aus den Schuhen Glasstückchen entfernt hatte, denn ich wollte nicht unbedingt eine Abschlussprüfung als Fakir ablegen.
Draussen war es nicht viel gemütlicher als drinnen. Wir mussten unseren Spaziergang auf dem Wellenbrecher abkürzen. Die anrollenden Wellen waren so eindrücklich wie ihre bedrohlichen Farben. Einige Surfer benützen den Wind um so richtig in Fahrt zu kommen. Sie beeindruckten uns recht. Das waren Könner! Was für ein Tempo die erreichten! Unglaublich!
Ein regelrechter Sandsturm fegte in den Strassen von Marina di Ravenna um alle Ecken. Wir passten auf, keinen von den grossen Pinienzapfen auf den Kopf zu kriegen. Bald kehrten wir wieder um. Wir waren ohnehin genug ausgelüftet! Und von den feinsten Sandkörnern hatten wir ein Gratis-Peeling im Gesicht erhalten.
Wir liessen die Elemente weiter tobten, kurbelten die Rollläden runter und verbrachten unsere Zeit mit Fotos aussortieren, Stricken, Lesen, Fernsehen (der Krieg in Irak passte zum Heulen des Windes, auch die Nachrichten aus China, die viele Tote beklagten wegen der mysteriösen Lungenkrankheit SARS), Baden, Reisenotizen aufarbeiten und besseres Wetter abwarten.
Marina di Ravenna
Sogar bei ruhigem Wetter machten wir die Beobachtung, dass fast pünktlich um fünf Uhr Abends eine steife Bise vom Meer her wehte, die sich dann nach einigen Stunden legte, so dass man einen ruhigen Schlaf geniessen konnte.
Auch hier wurden die Sandstrände, die zu den Hotels gehörten, fleissig gestriegelt, geebnet und geputzt. Die Badekabinen mit den drinnen versorgten Liegestühlen schliefen noch ihren Dornröschenschlaf. Vielleicht träumten sie vom Frühling, vom Sonnenschein und von warmen Sommertagen, von Liebesgeflüster, Kinderlachen und -streiten, von sonnenbrandgeplagten, ballspielenden Menschen?
Immer in der Frühe schmetterte eine Amsel ihr Lied. Sie kannte keine Vergangenheit, keine Vorahnungen oder Vorfreuden in der Zukunft. Nur das Jetzt zählte für sie und das Abgrenzen ihres Territoriums. Alles andere war Nebensache. Die Türkentauben gurrten etwas später, als die Sonne schon deren Sitzplatz beschien, ihr eintöniges "Gurrrrugu, gurrrugu!" dazu. Das war für uns jeweils das Zeichen, zum Frühstück runterzugehen. Da gab's so Vieles, das zum Schlemmern einlud! Keine Chance, einmal vernünftig zu sein und die Kalorien zu reduzieren! (Beneidenswert, wie Michael immer schlank und rank bleibt!) Schliesslich mussten wir Kräfte tanken für neue Abenteuer und fit sein zum Aufnehmen der vielen Sehenswürdigkeiten in Ravenna und in Classe, jawohl!
Ravenna: Sant' Appolinare in Classe
Was wollten wir? Den Frühling suchen?
Wir fanden ihn in der Basilica Sant' Apollinare in Classe, fünf Kilometer südlich des Stadtzentrums von Ravenna. In der Grabeskirche des heiligen Apollinaris ist das Licht hell, die Farben erfrischend. In der Apsis gefielen uns vor allem der Triumphbogen mit den weissen Lämmern, die Christus zuströmen.
Ravenna: Basilica Sant' Apollinare in Classe
Und die Mosaiken der Apsis erst! Der Grund ist grasgrün, übersät mit bunten Blumen und Büschen, blühenden Bäumen und mit Vögeln, das Ganze symbolisiert das Paradies. In der Mitte davon leuchtet strahlendblau ein Sternenmedaillon, darin ein goldenes Kreuz. Hoch oben greift die Hand Gottes aus den Wolken. Wer diese Apsis einmal gesehen hat, vergisst sie nie mehr.
Und die Mosaike in Ravenna! Die Stadt an sich ist unserer Meinung nach gar nicht sehenswert. Auch die Schneeflocken, die plötzlich und nur kurze Zeit herunterschwebten machten sie nicht schöner. Sie ist nicht inspirierend, nicht harmonisch, wie andere aber sie birgt originale Schätze, die sehr viel älter sind als die in Venedig. Unbekannte Künstler schufen die ältesten christlichen Mosaikzyklen, die noch in dieser ehemaligen Kaiserstadt zu sehen sind. Sie sind alle dem UNESCO Kulturerbe unterstellt, wie übrigens auch Venedig und die Lagune.
Ravenna lag ursprünglich auf Inseln im Meer, umrahmt von unwegsamen Sümpfen. 500 v.Chr. bauten die Etrusker hier eine Fluchtburg.
Dann kamen die Römer mit ihren Kriegsschiffen, die den Handel in der Adria kontrollierten.
Der Kaiser Flavius Honorius flüchtete 402 vor den anstürmenden Westgoten auf die Inseln. Seine Schwester Galla Placidia regierte bis 437 in Ravenna und aus dieser Zeit stammen die unvergleichlich schönen Mosaike.
Ravenna: Mosaik Detail
Der Ostgotenkönig Theoderich d. Gr. lebte hier und führte die theologische Lehre des Priesters Arius ein. Diese lehrte, dass Christus nicht göttlich ist, weil er vom Vater geschaffen worden und als Mensch geboren ist, somit konnte er nicht gleichbedeutend wie Gott der Vater sein.
Später nahmen byzantinische Truppen die Stadt ein und noch später die Langobarden.
Gegen Ende des 19.Jh. wurden die Sümpfe trockengelegt.
Einen grossen Wirtschaftsaufschwung erlebte Ravenna, als 1952 reiche Erdgasvorkommen entdeckt wurden und Ölraffinerien und Chemiewerke entstanden (wie in den Provinzen Parma und Piacenca Erdöl).
Ravenna: Basilica Sant'Apollinare Nuovo
Die dreischiffige Basilica Sant'Apollinare Nuovo war Theoderichs Hofkirche, sein Palast stand ganz in der Nähe. Von dem steht nicht viel mehr als der Grundriss und eine Mauer. An der rechten Seitenwand der Kirche schreitet ein Prozessionszug von Märtyrern auf den thronenden Christus zu.
Ravenna - Sant'Apollinare Nuovo: Zug der Märtyrerinnen
Auf der linken Seitenwand führen die Heiligen Drei Könige und der Stern von Bethlehem den Zug der Märtyrerinnen an, die sich in Richtung Maria mit dem Kind bewegen. Erstmals in der Geschichte erscheinen die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar in einer Kirche, nämlich hier.
Ravenna - Sant'Apollinare Nuovo: Balthassar, Melchior, Caspar
Auf den zweiten Blick erkennt man, dass jedes Kleid in der Reihe der Frauen einen anderen Faltenwurf hat. Jedes Unterkleid ist verschieden gemustert. Leider war das Mosaik das den Hafen von Classe darstellt, von einem Gerüst verdeckt, denn es sind Renovationsarbeiten im Gange. Gegenüber konnte man aber das Bild des Palastes von Theoderich mit seinen schwungvollen geknoteten Vorhängen bewundern. Man könnte schwören, alles sei gemalt!
Ravenna: Battistero Neoniano
Das Battistero Neoniano hatten wir von einer früheren Reise in guter Erinnerung behalten, aber wir staunten dennoch wieder über die kunstvollen Marmorintarsien, die wundervollen Stuckarbeiten und Mosaiken. In der Kuppel über dem achteckigen marmornen Taufbecken sieht man die "Taufe Christi". Unglaublich, wie durchsichtig das Wasser des Jordans ist, in dem Christus steht!
Ravenna - Battistero Neoniano: Taufe Christi
Die Glassteinchen mussten in vielen Farbnuancen aufeinander abgestimmt werden, um solche Effekte zu erzielen. Genau, die Decken- und Wandmosaiken sind aus Glassteinchen angefertigt; Glas ist leicht und besser zu befestigen als Stein. Glas kann man mit Gold- und Silberfolien auslegen, und in allen Varianten färben und ohne grossen Aufwand zerkleinern.
Ravenna - Battistero Neoniano: Mosaik Detail
Der Sepolcro di Dante gilt als Grabstätte des Dichters der "Divina Commedia", der sein Lebensende als politischer Flüchtling in Ravenna verbrachte. Auch er wurde in seiner Grabesruhe gestört! Er sollte von hier nach Florenz gebracht werden. Die Urne war leer! Die Franziskaner-Mönche waren vorher gewarnt worden, hatten in der Nacht vom Kloster aus ein Loch in die Mauer gebohrt, die Gebeine entwendet und sie im Kloster daneben in Sicherheit gebracht. Pater Antonio Santi legte sie zusammen mit wertvollen Inschriften in ein Holzkästchen. Zum Dank dafür ist ein kleines Seitensträsschen mit seinem Namen versehen.
Ravenna - Museo Arcivescovile: liturgischer Stuhl des Bischofs Maximilian
Im Museo Arcivescovile steht der liturgische Stuhl des Bischofs Maximilian. Ganz aus Elfenbein-Tafeln bestehend ist er das wertvollste Stück der Ausstellung. Die Schnitzereien zeigen Johannes den Täufer, die vier Evangelisten, Szenen aus dem Leben Christi und aus dem alten Testament.
Ravenna - Museo Arcivescovile: Evangelist
In Vitrinen sind Teile von Bischofsgewändern, und ein Messgewand aus dunkelblauem Brokat, das mit gestickten Monden und Adlern verziert ist und bei dem man annimmt, dass es aus dem 12. Jh. stammt.
Ravenna: Mausoleo di Teodorico
Einen kurzen Besuch statteten wir dem legendenträchtigen Mausoleo di Teodorico ab. Das Grabmal des Königs der Ostgoten und über 33 Jahre lang Königs von Italien, obwohl er weder lesen noch schreiben gelernt hatte, ist ein zweistöckiger Rundbau mit einer monolithischen Deckplatte von 11 Metern Durchmesser und mit einem Gewicht von 300 Tonnen. Der Porphyrsarg ist leer. Die Gebeine des Königs wurden wahrscheinlich verschleppt und zerstreut. Später hat man seine goldene Rüstung beim Pflügen in einem Feld entdeckt, ausgegraben, im Museum ausgestellt, gestohlen und sie ist seitdem verschollen.
Ravenna: Basilica di San Vitale
Zu einem ganz speziellen Kunstgenuss verhalf uns die Basilica di San Vitale.
Der Grundstein dieser Kirche geht ebenfalls auf die Zeit Theoderichs zurück. Die Hagia Sophia in Konstantinopel diente als Vorbild.
San Vitale ist der erste Zentralkuppelbau des Abendlandes. Acht mit Marmorplatten ausgekleidete Stützpfeiler tragen die Kuppel über dem achteckigen Innenraum. Der Raum über den Arkaden ist mit 15 Medaillons geschmückt, die Christus, Heilige und Apostel darstellen. Die Mosaiken im Chorraum sind noch vollständig original und intakt und stammen aus den Jahren 525-548!
Ravenna - Basilica di San Vitale: Mosaik Detail
Lange Zeit verblieben wir vor den Seitenwänden der Apsis. Links sieht man Kaiser Justinian I., der als Stellvertreter Christi verehrt wurde und Bauherr der Hagia Sophia war, mit seinem Gefolge, rechts die hübsche Kaiserin Theodora mit ihren Hofdamen. Die Bilder sind leuchtend farbig und gut erhellt durch grosse Fenster.
Ravenna - Basilica di San Vitale: Mosaik Kaiserin Theodora
Während Michael nach Herzenslust fotografierte schloss ich mich einer der zahlreichen Gruppen mit Führung an. Erstens war es für mich ein lebendiger Italienischkurs, zweitens erfuhr ich einige Details, die mir sonst entgangen wären:
Ravenna - Basilica di San Vitale: Mosaik Detail
Bei genauem Hinschauen musste man bemerken, dass die ranghöchsten Personen, der Kaiser und die beiden danebenstehenden Begleiter, so dargestellt waren, dass sie mit einem Fuss auf dem Fuss eines Rangniedrigeren standen. Ein Zeichen ihrer Macht! Nur die Herrscher tragen Purpurmäntel und Diademe. Ein Zeichen ihrer Würde. Und nur diese sind mit Gesichtern wie Portraits ausgearbeitet. Ein Zeichen ihrer Wichtigkeit.
Ravenna - Basilica di San Vitale: Triumphbogen Detail
Zudem erfuhr ich, dass viele schwarze Stellen in den Gewändern früher so stark wie das Gold geglänzt haben, nur in Silber. Die Silberfolie, die die Glassteine bedeckte, ist aber mit der Zeit schwarz geworden.
Ravenna - Basilica di San Vitale: Opfer des Abraham
Christus, der in der goldenen Halbkuppel der Apsis auf dem Himmelsglobus thront, ist bartlos dargestellt. Hier ist er also eine göttliche Figur, die im Zustand ewiger Jugend war, ist und bleibt. Die andere Christusfigur zeigt ihn mit Bart. Er kann also altern, schliesslich ist er auch geboren worden, also ist er mit Gott nicht gleichzusetzen. So zeigen sich die diversen philosophischen Denkarten der Religionsrichtungen.
Ravenna - Basilica di San Vitale: der ewigjunge Christus
Die Kirche ist übrigens die Stiftung eines Bankiers aus Ravenna!
Um es kurz zu machen, jeder Zentimeter dieser Basilika ist verschwenderisch geschmückt ohne überladen zu wirken. Jede Kleinigkeit ist es wert, genau betrachtet zu werden. Ständig fielen uns wieder neue Details auf. Neben Abraham, der durch die Hand Gottes aus dem Himmel daran gehindert wird, seinen Sohn zu opfern steht ein Lamm, das ihn am Saum des Gewandes zupft. Diese Geste heisst: "Nimm mich als Opfer, nicht deinen Sohn!"
Ravenna - Basilica di San Vitale: Mosaik Detail Opfer des Abraham
An einer anderen Stelle verknotet doch tatsächlich Moses die Bändel, die sich bei einer Sandale gelöst haben, den Fuss stützt er dazu auf einen Stein auf.
Ravenna: Mausoleo di Galla Placidia
Im Mausoleo di Galla Placidia, das sie selbst in Auftrag gab, stehen drei Sarkophage. Sie starb in Rom, und wer hier bestattet wurde ist nicht ausfindig zu machen. Andere Quellen berichten, sie sei wohl in Rom bestattet worden, später habe man aber den Sarkophag nach Ravenna überführt. Welche Quelle stimmt?
Ravenna - Mausoleo di Galla Placidia: Mosaik
Es ist ein kleiner, aussen unscheinbarer Ziegelbau mit einem kreuzförmigen Grundriss. Das Licht fällt durch Alabasterplatten ins Innere, ist deshalb ein warmer Schein. Die Tonnengewölbe und die Kuppel sind ganz ausgeschmückt mit Mosaikbildern, die Schmuckbänder darstellen, den Nachthimmel, die acht Apostel, Christus als guten Hirten, eine Felslandschaft, Hirschpaare in einem Blätterwald.
Ravenna: Mausoleo di Galla Placidia
Die ältesten Mosaikteile sind zugleich die mit den lebhaftesten bunten Farben. Sie sehen aus, wie wenn sie erst gestern entstanden wären. Es ist der einzige Ort in Ravenna, in dem nicht geblitzt werden durfte, fast überall sonst, sogar in den Kirchen, ist das Fotografieren, auch mit Blitz erlaubt!
Ravenna: Mausoleo di Galla Placidia
Noch nie habe ich so viele Menschengruppen gesehen, die brav vor dem Eingang mit den Kunstführern warteten. Das war ein Treiben! Die Führer, die zuviel Erzählstoff an die Leute bringen wollten und zu lange im Mausoleum verweilten, wurden von einem Aufseher kurzerhand hinauskomplimentiert. Wir hatten beim Eintritt einen der ruhigeren Momente erwischt. Plötzlich wurde es mir aber zuviel. Michael rettete sich hinter einen der Sarkophage, wo er die wunderschönen "Malereien in Stein" aufnehmen konnte. Die Menschenmenge störte ihn keineswegs, denn alles Sehenswerte befindet sich ja über den Köpfen der Leute.
Ravenna: Mausoleo di Galla Placidia
Um die Leserinnen und Leser zu beruhigen: Wir "verschlangen" nicht alle Kunstwerke am selben Tag, wir teilten sie auf mehrere Tage und konnten mehr davon aufnehmen. Die Touristengruppen wurden wie Herden durchgeschleust. So war es nicht verwunderlich, wenn man Gruppen von Jugendlichen traf, die nur unaufmerksam den Erläuterungen folgten. Schliesslich hatte man ein Handy dabei. Und SMS mussten noch dringendst verschickt werden! Es gab Kunstführer, die aber sehr darauf achteten, in Ruhe erzählen zu können, was sie wussten. Ein Mucks und sie sorgten für Ordnung. Einen hörte ich sagen: "Ihr seid freiwillig hier. Ihr habt bezahlt, damit ich euch alles erkläre. Also lasst mich jetzt ungestört meine Arbeit erledigen!" Andere erledigten sie auch, es war ihnen aber egal, wer zuhörte und ob überhaupt jemand zuhörte. Da hätten ja alle Beteiligten von Anfang an zuhause bleiben können! Oder an den Strand gehen!
Ravenna: Mausoleo di Galla Placidia
Oder ausrechnen wie viel Wasser das Becken des Adriatischen Meeres füllt. Für Liebhaber von Zahlen sei Folgendes eingeschoben: Die Längsausdehnung beträgt 800 km bei einer mittleren Breite von rund 160 km, das ergibt eine Fläche von circa 132'000 Quadratkilometern. Der nördliche Meeresabschnitt weist eine maximale Tiefe von nur 262 Metern auf, was die geringe Höhe der Wellen erklärt, verglichen mit anderen Meeren. Im Süden geht's schon bis auf 1260 Meter runter. Der mittlere Salzgehalt schwankt zwischen 2,5 und 3,9 %. Die Römer nannten eine ihrer wichtigen Hafenstädte im Norden Hatria, dieser Handelsplatz wurde so wichtig, dass er dem ganzen Meer den Namen gab.
Urbino
Zwischen den Besuchen der wunderschönen Mosaike in Ravenna unternahmen wir einen Ausflug nach Urbino. Diese Stadt sollte ab sofort eine meiner Lieblingsstädte werden. Hier würde ich gerne längere Zeit verweilen und Ferien verbringen.
Alles schön der Reihe nach:
In der Nacht hatte es überraschend geschneit! Die Berge im Hinterland zeigten sich deswegen hübsch weiss überzuckert, was der ohnehin schönen Landschaft eine zusätzliche Note gab. Von Weitem sah die Stadt wie eine Illusion aus, eine Täuschung aus rotbraunen Backsteinen auf einem sanften weiss-grünen Hügel.
Schon den Etruskern hatte der Platz so gefallen, dass sie auf der 485 Meter hohen Bergkuppe ein Dorf bauten.
Die Römer machten daraus eine befestigte Stadt.
Im 15. Jh. wurde die Renaissance-Stadt zu einem bedeutendsten Zentrum des italienischen Humanismus (auch das ist mir sehr sympathisch!).
Die Stadt soll heute das grösste und schönste Freilicht-Museum von Italien sein.
Der gewaltige, in die Länge gezogene Palazzo Ducale thront über der Festungsmauer, daran schmiegen sich unzählige kleinere Häuschen mit Ziegeldächern. Die sauberen Gässlein sind sehr steil und mit rotbraunen Ziegelplatten ausgelegt, als Treppen oder treppenartigen Aufgängen. Sie geben immer wieder einen schönen Blick frei auf die Landschaft und lassen so die Gebäude mit der Natur eine Einheit werden. Wir genossen die kalte Luft, die hier oben nach Schnee und zugleich nach Blumen duftete, den vollen Ton der Mittagsglocken und die beruhigende und sonnige Rundsicht auf die Hügel rundum. Wir erwischten grad noch ein bisschen Meeresblau in 36 km Entfernung. Von der Grünfläche rund um die Fortezza Albornoz aus verschafften wir uns einen Überblick auf die ganze, von Wehrmauern umrundete Stadt, auf den Palast und die vielen Türme und Dächer. Ein Ausblick voller Harmonie zum Träumen! Zum Verweilen! Zum Abheben!
Urbino
Und tatsächlich fand ich doch beim Mittagessen im Restaurant das Bild eines Malers, der stark mit mir gefühlsverwandt gewesen war. Er stellte die Sicht aus einem Rundbogenfenster hinaus in die Landschaft dar. Auf dem breiten Sims lockt eine Schale voller Früchte. Die Landschaft ist sanft gewellt, undramatisch heimelig, über ihr schwebt mit wenig Abstand eine ausladende Kumuluswolke, die die Basis für die ganze Stadt Urbino bildet. Da hatte ich es genau vor Augen: die Darstellung des Gefühls vom Abheben, das ich vorher beschrieben habe! Die schwebende Stadt, oder die abhebende Stadt? Den Namen des Malers kenne ich nicht, er wurde nicht berühmt wie andere, die hier ihre Wurzeln hatten.
Urbino
Da wäre der Dichter und Maler Giovanni Santi (Sanzio) zu nennen. Sein Sohn wurde nicht nur berühmt, er erhielt sogar den Zusatznamen "Der Göttliche".
Gemeint ist Raffaello Sanzio oder Santi (1483-1520), auch Raffaello d'Urbino genannt, oder einfach Raffael, der in Rom und Florenz wunderbare Gemälde schuf, die ihn weltberühmt machten und mit Michelangelo und Leonardo da Vinci zu einem der bedeutendsten Repräsentanten der Hochrenaissance werden liess. Sein Geburtshaus fanden wir gleich. Alles ist schön beschildert. Man braucht keinen Plan wie in Ravenna. Zufällig fanden wir am Ende eines steilen Gässleins voller Vogelgezwitscher auch das Geburtshaus von Raffaels Mutter.
Urbino
Ein Theater trägt den Namen Teatro Sanzio!
Zur Zeit von Galilei bemühte sich eine Gruppe von Gelehrten, die modernen Wissenschaften entstehen zu lassen. Federico Comandio arbeitete zusammen mit Galilei am Aufbau von Versuchen, um die Flugbahn von Kanonenkugeln und die Fallgesetze exakt bestimmen zu können. Die hiesigen Gelehrten und ihre Denkweise waren genau das, was Galilei beflügelte. Sein Einsatz für wissenschaftliches und unabhängiges Denken war gross und neu für jene Zeit, er kämpfte vehement gegen Autorität und Dogma. Seine wissenschaftliche Methodenlehre und die Mathematisierung der Naturwissenschaften leben heute noch in Urbino weiter.
Urbino
In 10 Fakultäten und in einer Kunstakademie sind 24'000 Studenten eingeschrieben. Die Stadt zählt aber nur 15'000 Einwohner. In allen Gassen, auf dem Hauptplatz, auf den Treppen des Domes wimmelte es von diesen jungen Leuten, die ihre Brötchen verzehrten, die abfallenden Brosamen waren ein gefundenes Picken für die Tauben.
Urbino
Auf der Piazza della Repubblica dominierte ein grosses Banner in den Regenbogenfarben mit der Aufschrift URBINO CITTA DELLA PACE. Man kann sich vorstellen, wie es auf dem Platz gebrodelt haben muss, als der Krieg in Irak losging! Gemalte Parolen an den Wänden riefen zu Generalstreiks auf.
Da wir wussten, dass in Ravenna noch viel Schönes auf uns wartete, beschränkten wir uns auf die Stadtansicht und verzichteten, abgesehen vom Dom, auf Kirchen- und Palast-Besuche. Neben dem Geburtshaus des Malers Federico Barocci wäre im Oratorium von San Giuseppe die Krippe von Federico Bandani zu sehen gewesen. Es ist eine naturalistische Skulpturengruppe in Gips und in Lebensgrösse in einer Grotte; den Hintergrund bildet die Stadt Urbino.
Um zuhause in seligen Urbino-Erinnerungen schwelgen zu können, kaufte ich mir einen Kunstführer. So weiss ich, was wir verpasst haben und uns beim nächsten Besuch zu Gemüte führen sollten.
Ganz klar, ich hätte noch über alle Städte, die wir besucht haben, so Vieles zu berichten, aber dafür gibt's ja Bücher, in denen man nachschauen kann. Falls die Leserinnen und Leser meiner Ausführungen der letzten Italienferien Details vermissen oder mehr Auskünfte haben möchten, stehe ich damit sehr gerne zur Verfügung.
Falls wir einmal Erinnerungslücken haben sollten, werden die wunderbaren Fotos in Michaels Computer, die er in gewohnter Form für die Homepage fleissig und in langer Arbeit aussucht, bearbeitet und sortiert, sehr helfen. In meinem Bericht musste ich leider die Anzahl Bilder auf ein vernünftiges Mass beschränken. Die Auswahl fiel mir nicht leicht.
Urbino
Ein Ziel haben wir nicht erreicht, oder nur teilweise. Wir waren ausgezogen, um dem Frühling zu begegnen. Wir wurden aber von den Wintergeistern verfolgt.
Wegen der Schlechtwetterlage verkürzten wir unseren Aufenthalt in Marina di Ravenna um einen Tag. Es regnete in der Poebene. Es regnete vor und nach Verona. Es tröpfelte auf der Autobahn in Richtung Bozen. Im Vintschgau war es trüb. Im Val Müstair ebenso. Auf dem Ofenpass schneite es. In Madulain, im Oberengadin, blies uns ein kalter Wind um die Ohren als wir die Koffer aus dem Auto holten.
Und jetzt, Samstag, 12. April schneit es wieder ganz leise und fein vor sich hin. In einer Woche möchte die keltische Frühlingsgöttin Ostara (Ostern) über geblümelte Felder spazieren. Wir auch!
Viva la primavera!
Evelyne Scherer
Fotos: Michael Scherer
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